15.11.2019

Reisebericht | Wildnis Pur - Liard River

Was in Europa praktisch nicht mehr existiert - eine unberührte Natur -, durften wir auf einer längeren Kanutour im kanadischen Yukon-Territory an jedem Tag aufs Neue erleben und geniessen.


«See you again at Upper Liard in ten days!». Das lässt die Spannung auf das kommende Paddel-Abenteuer noch etwas mehr ansteigen. Erst vorgestern sind wir aus der drückend heissen Schweiz via Vancouver nach Whitehorse angereist, gestern haben wir in einem Outdoor-Shop schon mal das Reisebudget strapaziert und heute morgen gab’s die letzte warme Dusche für die nächste Zeit. Und nun stehen wir also vor dem Wasserflugzeug, das uns in einem einstündigen Flug zu den Caribou Lakes bringen wird.

Wir: Erich und Christine und unser Guide François. Eine kleine, aber feine Truppe! Obschon wir schon mehrere Kanutouren auf Flüssen und Seen unternommen haben und auch punkto Wildnis nicht absolute Greenhörner sind, so sind wir doch dankbar für die fachkundige Führung auf unserer ca. 350 Kilometer langen Reise auf dem Liard River. Der Fluss wird selten befahren, man ist auf sich gestellt, folglich kontrollieren wir das ganze Equipment mehrmals genau, bevor wir der Zivilisation Adieu sagen. Da unser Guide die Verpflegung geplant und alles eingekauft hat, brauchen wir nur unser persönliches Gepäck Wildnis-fertig zu machen, also möglichst sinnvoll in Dry-Bags zu verstauen. Gar nicht so einfach - «Wo ist bloss …» wird zu einem unterhaltsamen Suchspiel für unterwegs! Wir profitieren von François’ Erfahrung und lernen: Wie bindet man das Gepäck richtig fest im Kanu? Wie baut man mit vier Paddeln und einer Plane ein Schutzdach über der Kochstelle? Wer ist hier kürzlich durchspaziert und hat Spuren hinterlassen? (Ja, er ist auch «draussen zu Hause» und nein, er trägt keine farbige Regenjacke.)
 

Der Weg ist das Ziel Am zweiten Tag verlassen wir die Caribou Lakes und paddeln mit leichter Strömung auf dem Caribou Creek. Der glasklare Bach ist an einigen Stellen recht schmal und in unübersichtlichen Kurven können wir gelernte Steuertechniken bei Ausweichmanövern 1:1 anwenden. Mit Schwemmholz, nicht selten meterhoch aufgetürmt, möchten wir und unser Old Town Kanu keine Bekanntschaft schliessen. Auch am nächsten Tag ist die Strecke manchmal herausfordernd: Baumstämme in der Fahrrinne, fiese Felsen dicht unter der Wasseroberfläche und an einigen Stellen nun auch mehr Strömung. Seit dem Zusammenfluss mit dem Liard River ist der Bach deutlich breiter. Aber abgesehen von ein paar Mal «Trottinettle», wenn es uns auf eine Kiesbank schwemmt, und einem Aufhocker mitten im Fluss, umschiffen wir die heiklen Stellen gut und bewundern die nach jeder Flussbiegung wechselnden Ausblicke.

Nach einem langen Paddel-Tag lassen wir uns gerne auch bekochen. Was da in Töpfen und auf dem Grill brutzelt, hat gar nichts mit Pfadi-Futter oder Survival-Food zu tun. Sterneküche! So gestärkt meistern wir auch die etwas anspruchsvolleren Strecken am Anfang der Tour bestens. «Und da schlaft ihr einfach in der Wildnis im Zelt?» wurden wir vor unserer Reise oft gefragt. Ja, und das geht prima! Schlafsack und Isomatte haben wir mitgebracht, das Zelt ist vom Tour-Operator. Zum Aufstellen suchen wir Sandbänke, die hoch genug über dem Liard River liegen und genügend Platz bieten, damit wir die Küche weit entfernt von den Schlafplätzen aufbauen können. Sicher nimmt das eine oder andere Wildtier in der weiteren Umgebung Witterung von uns auf, aber wir bekommen nie Besuch im Camp, ausser natürlich von den kleinen, surrenden Viechern. Nebst dem Bärenspray also immer auch das Mückenmittel in Griffnähe haben!

Als kleines Zugeständnis an unser nicht mehr ganz so jugendliches Alter haben wir zwei Campingstühle mit kleinem Packmass von zu Hause mitgenommen. So gestaltet sich das Diskutieren und Erzählen am abendlichen Lagerfeuer richtig bequem und weil es im Juli nie ganz dunkel wird, stellen wir nicht selten erstaunt fest, dass es schon nach elf Uhr ist, wenn wir in unsere Schlafsäcke schlüpfen. Am Morgen weckt uns dann Kaffeeduft und einige Turn- und Dehnübungen machen uns fit für den neuen Paddel-Tag. Kanuferien sind Aktiv-Ferien, genau so haben wir es uns gewünscht, als wir bei PARA TOURS die zwei Wochen in Kanada gebucht haben. Auch wenn unser Gold-Junge François (Best Guide ever) für alles besorgt ist, packen wir doch ebenfalls an beim Beladen der Kanus, beim an Land tragen der Food- Fässer und Kühl-Boxen - die werden auf wundersame Weise immer leichter - beim Feuer machen und was es sonst noch so rund um den Alltag in der unberührten Natur zu tun gibt.

Von Tag zu Tag wird der Liard River breiter, so breit wie die Aare bei Bern, dann wie der Rhein bei Basel. Auch die Landschaft wechselt immer wieder. In östlicher Richtung sind wir auf die Pelly Range zu gesteuert, nach der Richtungsänderung gegen Süden fahren wir an steilen Felsufern vorbei, schauen respektvoll nach oben, wo etliche Fichten schon bedrohlich über dem Abbruch hängen. Später machen die Berge Hügeln Platz, der nun mächtige Fluss mäandert durch ein breites Flussbett und wir müssen ab und zu den besten Flussarm zuerst auskundschaften. Eigentlich ist jede Etappe der zehntägigen Kanutour ein Highlight, aber ganz besondere Momente erleben wir, wenn wir Tiere beobachten können: Der junge Schwarzbär, der uns für wenige Augenblicke vom Ufer aus mustert, bevor er mit einem eleganten Satz im Gebüsch verschwindet, der Weisskopfadler, der uns Fremdlinge von seinem Ausguck aus mit sprichwörtlichen Adleraugen verfolgt, oder die Elchkuh, die gemächlich durchs Wasser watet. Zahlreich Vögel zu Wasser und zu Luft kreuzen unseren Weg und eine Otter-Familie nimmt Reissaus vor uns und unseren roten Booten. Wir haben Wetterglück. Das heisst im hohen Norden Kanadas: volles Programm. Natürlich brauchen wir ab und zu unsere Regenhosen, paddeln mit Kapuze, aber die dunklen Wolken inklusive Gewitter verziehen sich auch immer wieder. Auf einen Nachmittag mit kurzen Hosen und T-Shirt folgt auch mal ein grauer Abend, oder nach einem morgendlichen Regenguss verstauen wir unterwegs schon bald die Windjacken und holen die Sonnencreme hervor. Daunenjacke, Wollsocken und Mütze sind am späteren Abend durchaus ein Thema, aber richtig kalt wird es zum Glück nie.

Weil wir in der ersten Reisehälfte zügig vorangekommen sind, nehmen wir es ab Tag acht etwas gemütlicher: Frühstück erst gegen acht Uhr, Einwassern zwei Stunden später, eine Mittagspause mit (leider erfolglosen) Angel-Versuchen und Camp-Suche schon ab Mitte Nachmittag. Der Fluss ist nun so breit, dass wir uns jeweils rechtzeitig für eine Uferseite für die Übernachtung entscheiden müssen, rasch noch an das andere Ufer wechseln, wenn hinter einer Flussbiegung ein verheissungsvoller Platz auftaucht, ist nicht mehr zu schaffen. Aber der nächste wunderbare Spot kommt bestimmt!

So vergehen die Tage auf und am Liard River und ohne Tagebuch und Abzählen an den Fingern könnten wir nicht mehr genau sagen, wie lange wir schon unterwegs sind (unser Guide hat Karte und GPS, er weiss es natürlich) und welche Strecke bis zur Brücke in Upper Liard noch bleibt. Ich glaube, das nennt man Entschleunigung, Ankommen im Hier und Jetzt, den Schweizer-Alltag weit hinter sich zurücklassen. Und genau da vernehmen wir ein Brummen, das näherkommt, offensichtlich kein Flugzeug, aber ein Motorboot, gesteuert von einem First Nation Angehörigen. Irgendwo da weiter unten am Fluss muss es so was wie Zivilisation geben und die erwartet uns wieder beim Alaska-Highway. Dann heisst es Abschied nehmen vom Fluss, auf dem wir zehn Tage gereist sind, und von der unendlichen Wildnis, bei der wir für kurze Zeit zu Gast sein durften. Kanus putzen, Van beladen mit all unseren Habseligkeiten und es geht 440 Kilometer westwärts zurück nach Whitehorse. Der Highway verläuft mehr oder weniger in gerader Linie durch die Landschaft, es hat nicht wirklich viel Verkehr. Das gleichmässige Surren des Motors macht schläfrig, wir nicken ab und zu ein und wähnen uns nochmals auf dem klaren, wilden, unglaublich schönen Liard River.

 

Text und Bilder von Christine Imhof