28.05.2025
Reisebericht | California Zephyr
1.-5. Tag: Chicago
Nach einer langen Anreise mit der British Airways via London, bin ich pünktlich am Nachmittag in Chicago gelandet. Die Einreise verlief absolut stressfrei und ohne jegliche Komplikationen oder Nachfragen. Dann hiess es erstmal ankommen, Gepäck ins Hostel bringen und die Müdigkeit bekämpfen – mit einem Besuch der «360 Chicago»-Aussichtsplattform im John Hancock Center hat das ganz gut funktioniert – die Aussicht auf die faszinierende Stadt zum Sonnenuntergang ist einmalig. Nach einem ersten Burger von Billy Goats, der ikonischen Taverne im unterirdischen Teil der Stadt, habe ich wohlig an meinem Kissen gehört.
Da ich Chicago bereits von einer früheren Reise kannte, wollte ich mir dieses Mal etwas mehr Zeit für die vielen verschiedenen Viertel («Community Areas») rund um Downtown nehmen. Zu Chicago gehören insgesamt 77 solcher «Neighborhoods», es gibt also eine Menge zu entdecken! Begonnen habe ich meine Tour in Lincoln Park nördlich von Downtown – hier befindet sich ein Grossteil des DePaul University Campus und die Bevölkerung ist dementsprechend etwas jünger und diverser. Lincoln Park ist sehr sehenswert, es gilt als einer der wohlhabendsten und historischsten Stadtteile Chicagos, mit viel Backsteinarchitektur und eleganten viktorianischen Reihenhäusern. Vorbei am Lincoln Park Zoo und begleitet von ein paar Eichhörnchen bin ich dann über den Lakefront Trail entlang des Lake Michigan bis Downtown gelaufen. Die Skyline immer im Blick, Muscheln am Strand und daneben das Rauschen der Wellen dieses riesigen Sees, welcher eher wie ein Ozean anmutet. Gerade in den wärmeren Monaten ist hier viel los, es gibt diverse Bars und Restaurants sowie öffentliche Strände – auch mit dem Fahrrad ist der Lakefront Trail, welcher sich über knapp 30 km entlang der ganzen Küstenlinie der Stadt zieht, empfehlenswert. Zum Baden war es leider noch etwas zu kalt und windig, dazu am Ende des Berichts mehr.
Dank meinem CityPass, welchen ich von «Choose Chicago» erhalten habe (vielen Dank!), habe ich anschliessend einige Sonderausstellungen im riesigen Naturhistorischen «Field Museum» angeschaut, von Katzen über afrikanische Mode bis hin zu sehr gut kuratierten Ausstellungen über Native People. Das Museum liegt auf dem Museum Campus, wo sich auch das Shedd Aquarium und das Adler Planetarium befinden. Tipp: Das Planetarium hat immer Mittwochs bis um 22:00 Uhr geöffnet und bietet regelmässig Sonderausstellungen oder -aktivitäten. Hier habe ich eine beeindruckende Vorführung im hauseigenen Planetarium genossen. Diese, wie auch der Rest der Institution, sind sowohl für Kinder wie Erwachsene beeindruckend – ausserdem bietet sich vom Haupteingang ein herrlicher Blick auf die Skyline der Stadt. Gestärkt habe ich mich anschliessend mit einer Deep Dish Pizza bei Lou Malnati’s – die Kette hat verschiedene Lokale in und um Chicago und ist eine der Top-Adressen für die Spezialität.
Bei einem Spaziergang durch Wicker Park, im Nordwesten (Upper West Side) der Stadt gelegen, bieten sich verschiedenste Möglichkeiten für Shopping-Fans. Vor allem Vintage- und 2nd Hand-Läden dominieren hier die Strasse (wer es eher hochpreisiger mag, wird in Downtown auf der «Magnificent Mile» (Michigan Avenue) sicher fündig). Auch dieses Viertel hat mich sehr angesprochen, man merkt einfach, dass hier Menschen leben und nicht nur (wie so oft in amerikanischen Downtowns) zum Arbeiten herkommen. Dementsprechend gibt es hier viele lokale Gemeinschaften und «locally owned» Geschäfte. Im Viertel Pilsen, ebenfalls westlich von Downtown aber etwas weiter südlich als Wicker Park, dominieren farbintensive Wandgemälde und eine aufstrebende Kunstszene. Leider hat es mir aufgrund der Öffnungszeiten nicht mehr ins hervorzuhebende «National Museum of Mexican Art» geschafft, das hole ich ein anderes Mal nach. Dafür habe ich dann einen Abstecher in die Near West-Side gemacht und dem United Center – der Heimat des Basketballteams Chicago Bulls sowie dem Eishockeyteam Chicago Blackhawks – einen Besuch abgestattet. Es lief zwar leider kein Spiel, die ikonische Statue von Michael Jordan in der Eingangshalle kann aber jederzeit besucht werden. Auf dem Rückweg zur U-Bahn Station habe ich dann spontan beim Baseballtraining einer lokalen Mannschaft zugeschaut (und eine Menge über die Abläufe, Regeln und Taktiken von Baseball gelernt!).
Apropos U-Bahn, oder «L-Train» (Elevated Train), wie das Fortbewegungsmittel in Chicago heisst: Dieser eignet sich hervorragend, um in die verschiedenen Teile der Stadt zu gelangen. Die Bahn verkehrt teilweise unterirdisch, ebenirdisch aber eben auch überirdisch auf ikonischen offenen Stahlstrukturen. Das Herzstück bildet der sogenannte «Loop», ein ringförmiger Streckenabschnitt im Stadtzentrum, wo viele der Linien verkehren. Gerade in diesem Abschnitt sind die Ausblicke auf die umliegenden Wolkenkratzer und Fahrten durch enge Häuserschluchten spektakulär – ausserdem verkehren hier fast alle Linien und verlaufen von da sternförmig in die verschiedenen Aussenbezirke der Stadt.
Zum Abschluss meines Besuchs in «Windy City» wage ich mich dann doch nochmal etwas tiefer in die Innenstadt – mit einer geführten Walking Tour vom Chicago Architecture Center (CAC). Es gibt praktisch tägliche Touren mit CAC, jeweils zu unterschiedlichen Themen – und das Beste: Die Touren sind alle kostenlos! Natürlich wird gerne eine Spende angenommen, dies ist aber nicht zwingend. Unser Guide führt uns während 2 Stunden durch die bewegte architektonische Geschichte Chicagos. Die Stadt wurde nach dem verheerenden Brand von 1871 praktisch von Grund auf neu gebaut, vor allem mithilfe des «Chicago Plans» von 1909, welcher die Stadt lebenswerter, funktionaler und schöner machen sollte. Der Städtebauplan gilt als historischer Meilenstein in der urbanen Raumgestaltung und hat spätere Stadtbauplanungen in den USA sowie weltweit beeinflusst.
Ganz zum Schluss bin ich noch im Museum of Contemporary Art (MCA Chicago) aufgeschlagen. Natürlich ist das «Art Institute of Chicago» viel umfassender und grösser (das hatte ich aber schon bei meinem letzten Besuch gesehen), dafür besticht das MCA mit mutigen und experimentellen Ausstellungen ab den 1940er-Jahren bis heute und gilt als eines der führenden Museen für zeitgenössische Kunst in den USA.
Direkt beim Bahnhof, welcher zentral in der Innenstadt liegt, befindet sich passenderweise auch der Willis Tower mit der «Skydeck»-Aussichtsplattform. Nach ereignisreichen Tagen und vielen Eindrücken nochmal von oben auf die drittgrösste amerikanische Stadt zu schauen, war ein toller Abschluss.
5.-6. Tag: California Zephyr | Chicago-Denver
Noch kurz etwas Proviant holen und schon stehe ich am «Gate» zu meinem Langstreckenzug «California Zephyr» an der Union Station. Anders als bei uns, darf der Zug erst bestiegen werden, wenn das Zugpersonal das Boarding freigibt. Ich habe mir einen «Coach Seat», also einen Sitzplatz, für die Reise über Nacht gebucht. Wer es lieber etwas komfortabler mag, hat auch die Möglichkeit ein Schlafabteil zu buchen (Vorteil: Oft sind hier dann auch schon Essen und Getränke im Preis inkludiert). Der Zug verkehrt von Chicago bis an den Pazifik nach Emeryville/San Francisco, wer die gesamte Strecke auf einmal fahren möchte, ist 3 Tage und 2 Nächte (insgesamt etwas über 50 Stunden Fahrzeit) unterwegs. Die Sitzplätze sind wie im Flugzeug in 2er Reihen angeordnet, sind für die Nacht ausziehbar und es gibt eine Menge Beinfreiheit (ich mit meinen 1,95m konnte die Beine strecken und hatte immer noch etwas Luft zum vorderen Sitz!). In jedem Zug gibt es einen «Observation Car» - einen Wagen mit 4er-Abteilen inkl. Tischen, aber auch zum Fenster hingerichteten Einzelsitzen mit super Aussicht, sowie grossen Panoramafenstern und einem Bistro mit Snacks zu fairen Preisen. Im Observation Car trifft sich der ganze Zug – sei es zum Essen, Lesen, Plaudern oder um einfach der tollen Aussicht zu frönen. Während wir durch die endlosen Weizen- und Maisfelder Iowas und Nebraskas donnern, in der Ferne einen vermeintlichen Tornado sehen (am Tag zuvor hatte der Zug aufgrund einer Tornadowarnung 3 Stunden Verspätung) und das ein oder andere erfrischende Kaltgetränk aus dem Bordbistro geniessen, bin ich alsbald in ein Gespräch mit einer Dame aus Iowa und einem pensionierten Ex-Flüchtling aus Ungarn verwickelt. Der Fakt, dass auf der Strecke oft gar kein Handyempfang besteht und man stundenlang unterwegs ist, animiert geradewegs dazu, die anderen Reisenden kennenzulernen, sich Zeit für ein Buch oder einen Podcast zu nehmen und einfach mal die Seele zur beeindruckenden Aussicht baumeln zu lassen. Kurz vor dem ins Bett (resp. den Sitz) gehen, erklärt mir der alteingesessene Zugchef beim letzten längeren Halt in Omaha (Nebraska) noch etwas über die bewegende Eisenbahngeschichte des ehemaligen Drehkreuzes im mittleren Westen. Mit neuem Wissen über die Union Pacific Railroad und Co. döse ich dann irgendwann ein, bevor ich am Morgen zu den vorbeiziehenden und schneebedeckten Feldern Colorados aufwache. Bald einmal heisst es: Willkommen in Denver!
6.-9. Tag: Denver
Während die Temperaturen in Chicago noch angenehm frühlingshaft waren, erwarten mich in Denver knappe 1° Celsius und ein «Schüümli» Schnee. Doch der anfängliche Schreck über das kalte Wetter verfliegt schnell, denn die Sonne macht ihren Job gut und lässt das Thermometer während dem Tag auf über 20° steigen. Mit dem Mile High Culture Pass, von welchem ich dank «Visit Denver» gebrauch machen kann, stürze ich mich gleich ins erste Museum. Das Denver Art Museum ist eine der bedeutendsten Kunstinstitutionen in den USA und spielt eine zentrale Rolle in der kulturellen Landschaft Denvers sowie im ganzen Westen des Landes. Es besteht aus 3 Gebäuden mit teilweise bis zu 8 Stockwerken und umfasst insgesamt über 70'000 Werke aus verschiedenen Epochen und Regionen der Welt. Das Museum setzt sich aktiv für die Förderung indigener Kunstschaffender ein und beherbergt eine der grössten Sammlungen indigener Kunst, mit Werken von nahezu allen Stämmen Nordamerikas. Insbesondere, dass viele Ausstellungen von Natives selbst kuratiert werden, macht das Erlebnis sehr authentisch und lehrreich. Etwas versteckt hinter dem grossen Museum habe ich das «Center for Colorado Women’s History» entdeckt – ein kleines, aber feines Museum, welches sich emanzipatorischen und geschichtlich bedeutenden weiblichen Personen widmet. Frauen waren im Wilden Westen nämlich nicht nur Begleiterinnen, sondern aktive Mitgestalterinnen; als Pionierinnen, Farmerinnen oder Landbesitzerinnen. So hat zum Beispiel Wyoming (der Bundesstaat nördlich von Colorado) bereits 1869 als erstes US-Territorium das Frauenwahlrecht eingeführt.
Wer noch mehr über die indigene Geschichte, Kunst und Kultur erfahren möchte, dem lege ich einen Besuch im «History Colorado Center» ans Herzen. Hier wird ebenfalls grosser Wert auf die Einbeziehung indigener Perspektiven gelegt, welche in der Geschichte des Bundesstaates eine zentrale Rolle spielen. Gleichzeitig widmen sich die Ausstellungen aber auch anderen Dingen, die Colorado zu dem machen, was es heute ist – von den spanischen Kolonialisten, welche vom südlichen Mexiko nach Colorado kamen, über die Pioniere und Pionierinnen, die gen Westen zogen, bis hin zur Vertreibung und Unterdrückung der Native People, dem Goldrausch oder – etwas aktueller – der Legalisierung von Marihuana. Hier erhalten Besuchende einen vielschichtigen Einblick in die bewegte, vielfältige und komplexe Geschichte des Bundesstaates.
Die Innenstadt von Denver ist überschaubar, hat aber dennoch einiges zu bieten. Vom Colorado State Capitol mit seinem vergoldeten Dach und dem davorliegenden Civic Center Park (wo im Sommer oft Festivals stattfinden!), über den grossen blauen Bären, der durch die Fensterfront des Convention Centers schaut, bis hin zur schönen Union Station oder dem Baseballstadion «Coors Field», welches ebenfalls direkt in der Innenstadt liegt. Leider war während meinem Besuch die Fussgängerzone und Haupteinkaufsstrasse «16th Street Mall» gerade noch im Umbau (sie sollte im Herbst 2025 wieder uneingeschränkt geöffnet sein). Übrigens gibt es hier an der 16th Street Mall kostenlose Busse, welche an jeder Kreuzung halten!
Denver ist eine sehr angenehme Stadt, nicht zu gross, nicht zu klein und ausserdem sehr Outdoor-fokussiert. Definitiv ein super Ausgangspunkt für die wilde Natur in der Region und darüber hinaus – innerhalb von 20 Minuten findet man sich nämlich bereits in den Bergen wieder. Auf einer geführten Tour haben wir das Red Rock Amphitheater (eine fantastische Outdoor-Konzert Location), die herzigen Bergörtchen Evergreen und Golden besucht sowie die super Aussichten (inklusive Büffel-Sichtungen!) genossen. Bevor ich wieder den Zug in Richtung Westen bestieg, habe ich noch einen Ausflug ins «Meow Wolf» gemacht. «Meow Wolf» ist ein interaktives, immersives Erlebnis – «Museum» wäre wohl die falsche Bezeichnung. Eine Art surreales Labyrinth aus Räumen mit verschiedensten Installationen – autonome Instrumente die selbständig ein Konzert spielen, beeindruckende Weltraum/Unterwasser-Landschaften, versteckte Durchgänge und geheime Türen (z.B. durch einen Bus oder einen Getränkeautomaten) oder andere interaktive Objekte wie eine überdimensionale Orgel oder ein Internet-Café mit ausserirdischen Tastaturen. Momentan gibt es neben Denver vier weitere Einrichtungen, drei davon in Texas und eines in Las Vegas. Demnächst sind weitere Eröffnungen in Los Angeles und New York geplant.
9.-10. Tag: California Zephyr | Denver-San Francisco
Für die zweite Teilstrecke des California Zephyrs habe ich mir etwas mehr Proviant eingepackt – denn diese Strecke dauert ganze 35 Stunden. Wir verlassen Denver pünktlich morgens um 9:00 Uhr und finden uns schnell in der nahen Berglandschaft wieder. Über die Wintersportregionen Fraser Park/Winter Park und vorbei an bewaldeten Bergen, Tälern und Flüssen treffen wir kurz vor Glenwood Springs, bekannt für seine geothermischen Quellen, auf den Colorado River. Während mehreren Stunden beobachten wir, wie der klare, wilde Gebirgsfluss nach und nach grösser, breiter und mächtiger wird. Aus dem Zugfenster im wiederum gut besuchten Observation Car sehen wir einem Weisskopfseeadler beim Wettrennen mit dem Zug zu, einen Elch den Colorado River durchstapfen und eine Gruppe Dickhornschafe einen Berghang erklimmen. Praktisch nach jeder Kurve wartet ein neues Highlight! Nach und nach wird die Landschaft felsiger und wir können die Ausmasse der Kraft des Colorado Rivers erahnen – weite Canyons und langsam, aber sicher die bekannten «Red Rocks». Flammendes Orange, leuchtendes Ziegel- und Rostrot, Kupfertöne und Sandfarben wie Beige, Terrakotta und Goldocker schimmern von den steilen Felsen. Dazu als Kontrast die kräftig grünen Pappeln und Weidebüsche entlang des Flusses und der tiefblaue Himmel – eine Landschaft wie aus einer Naturdoku. Besonders am frühen Morgen und am späteren Nachmittag, wenn das Sonnenlicht flach einfällt, glühen die Felswände regelrecht. Seinen Höhepunkt findet das Schauspiel sicherlich im «Ruby Canyon» zwischen Glenwood Springs und Green River. Während wir weiter dem nördlichen Rand des Colorado Plateaus entlangtuckern, sehen wir in der Ferne die schneebedeckten Gipfel der La Sal Mountains und können den Arches Nationalpark erahnen. Mesas, Hoodoos und Felsbögen prägen die Landschaft. Irgendwann teilen sich die Wege der Schienen und des Colorado Rivers und die Umgebung wird noch trockener und wüstenhafter. Bei Green River überqueren wir den gleichnamigen Fluss, bevor der Zug in nördliche Richtung abdreht. Mittlerweile sehen wir aus den Fenstern die Badlands im zentralen Utah – Sedimentschichten, Sandstein und Erosionslandschaften mit gekerbten Hügeln, scharfen Graten und Rinnen. Wir schneiden den «San Rafael Swell» an und passieren die «Book Cliffs» bevor sich die Sonne irgendwo zwischen Helper und Provo – mittlerweile sind wir übrigens schon längere Zeit in Utah – verabschiedet. In Provo, kurz vor Salt Lake City, macht der Zug nochmal einen längeren Halt und ich vertrete mir nochmal etwas die Beine, bevor ich meine Augen vor lauter Eindrücken mal etwas ausruhen muss. Übrigens gibt es auf dem Zug immer wieder mal einen längeren Halt – sei es für einen «Engine Stop», um die Wassertanks aufzufüllen, die WC-Tanks zu lehren oder das Bistro wieder auf Vordermann zu bringen. Das Zugpersonal motiviert die Gäste auch immer wieder kurz auszusteigen, um etwas frische Luft zu schnappen, sich zu strecken und die Beine zu vertreten.
Am darauffolgenden Morgen erblicke ich als erstes die weitläufige Wüstenlandschaft Nevadas. In der Nacht sind wir via Salt Lake City und den grossen Salzsee bis in den westlichen Teil des «Silver States» vorgedrungen und finden uns im «Great Basin» wieder. Offene, flache und weite Ebenen mit spärlicher Vegetation, ab und zu ein einsamer Salbeistrauch und in der ferne ein paar karge Gebirgszüge. Der Horizont wirkt endlos und während dem Frühstück lasse ich meinen Blick in die einsame und ruhig wirkende Weite schweifen. Irgendwann tauchen am Horizont wieder schneebedeckte Gipfel auf – wir nähern uns der Sierra Nevada. Schnell schraubt sich der Zug nach Reno durch bewaldete Täler und wilde Bergbäche hoch in die Alpine Zone. Während vor 2-3 Stunden noch Trockenheit, Kargheit und endlose Weite dominierten, finden wir uns plötzlich im winterlichen Schnee wieder und sehen sogar (noch laufende!) Skilifte vorbeiziehen. Was für eine abwechslungsreiche Zugfahrt! Wir überqueren den Donner Pass und geniessen den Ausblick von hoch oben auf den gleichnamigen See, die schneebedeckten Gipfel und die dichten Wälder des Tahoe National Forest. Der Zug schlängelt sich weiter durch waldreiches Vorgebirge und steile Täler, die Vegetation wird immer grüner und je länger, desto mehr auch farbiger – der Frühling macht sich bemerkbar. Irgendwann wird das Terrain wieder flacher und die Hügel sanfter, Wohnsiedlungen und landwirtschaftlich betriebene Felder nehmen zu. Bald schon erreichen wir die Hauptstadt Kaliforniens – Sacramento. Die Sicht im flachen «Central Valley» ist weit und auf den ersten Blick unspektakulärer als die ganzen Highlights zuvor. Die riesige, flache Tiefebene, welche sich über 600 km von Nord nach Süd durch Kalifornien zieht, ist eine der fruchtbarsten Agrarregionen weltweit; kein Wunder also dominieren hier endlose Felder, Plantagen und Bewässerungskanäle das Bild. Am westlichen Ende des Central Valley treffen wir auf das Sacramento-San Joaquin Delta, wo sich die grossen Flüsse in ein weitläufiges Netz aus Kanälen, Wasserarmen, Inseln, Marschland und Sümpfen verzweigen. Reiher, Gänse, Enten, Kormorane und Fischadler tummeln sich nur so in den ausgedehnten Feuchtgebieten und lassen sich alle paar Meter erspähen. Nachdem wir die Carquinez-Strasse überquert haben, biegen wir in die San Francisco Bay ein. Auf den letzten paar Kilometern wird die Umgebung wieder urbaner – alte Hafenanlagen, Werften und Brücken wechseln sich ab. Nach einer einmaligen und unbeschreiblich schönen und abwechslungsreichen Zugfahrt endet unsere Reise in Emeryville. Da San Francisco selber keinen Bahnhof hat, steigen wir auf den Bus um und fahren über die Oakland Bay Bridge in die «Perle am Pazifik».
10.-14. Tag: San Francisco
Fisherman’s Wharf, Hippie-Hochburg, Golden Gate Bridge, Cable Cars, Alcatraz… San Francisco hat unheimlich viel zu bieten und die letzten 4 Tage meiner Reise gingen vorbei wie im Flug. Der Standort meines Hotels am Union Square war ideal für die Erkundung der Stadt. In die eine Richtung die Cable Cars, welche die Market Street mit Fisherman’s Wharf verbinden und in die andere Richtung die California Street Line mit den ebenfalls sehr anschaulichen, nostalgischen Strassenbahnen. Wer es ganz modern möchte, findet in der Stadt seit neustem auch selbstfahrende Taxis – definitiv ein gewöhnungsbedürftiger Anblick, wenn dich so ein Auto über den Fussgängerstreifen lässt… Aber auch zu Fuss lässt sich San Francisco gut erkunden – zum Beispiel mit einer Walking Tour. In Haight-Ashbury habe ich Frank getroffen. Er ist vor rund 10 Jahren aus Berlin an den Pazifik gezogen und zeigt heute Besuchenden seine Highlights der Stadt bei geführten, deutschsprachigen Walking Touren. Ich habe von ihm sehr spannende Geschichten, Hintergründe und Anekdoten zum «Summer of Love», welcher 1967 hier in Haight-Ashbury am Rand des Golden Gate Parks stattgefunden hat, erfahren. Der Sommer war ein zentrales Ereignis der Hippie-Bewegung und hatte tiefgreifende Auswirkungen sowohl auf die kulturelle wie auch die politische Landschaft weltweit. Bands und Künstlerinnen wie «Grateful Dead», «Jefferson Airplane», «The Doors» oder Janis Joplin prägten den Sound und wurden zum Sprachrohr einer ganzen Generation. Themen wie sexuelle Freiheit oder Genderrollen, Drogenkonsum, Selbstfindung, Spiritualität, Kreativität und Nachhaltigkeit rückten zunehmend in den Fokus. Man merkt, dass Frank seine Touren mit einer riesigen Portion Herzblut und Leidenschaft gestaltet – seien es mit selbst angefertigten Videos, Präsentationen oder Kurzfilme zur bildlichen Unterstützung und sein Wissen über die Stadt und ihre Geschichte allgemein, seine offene Art oder seine authentischen Bekanntschaften im ganzen Viertel. Es fühlt sich regelrecht so an, als würde man einen alten Freund besuchen, der einem die Lieblingsplätze seiner Stadt zeigt. Frank bietet Touren zu verschiedenen Themen und in verschiedenen Teilen der Stadt an. Wer ihn ganz für sich allein haben möchte, dem kann ich eine privat geführte Tour ans Herz legen.
Eine kostenlose Alternative bietet «San Francisco City Guides». Die Guides empfehlen eine Spende an die Non-Profit Organisation, diese sind aber nicht zwingend und ein Trinkgeld nehmen die Tour Guides ebenfalls nicht an. Natürlich spielt hier das «Glück» etwas mit, da im Vorfeld nicht genau bekannt ist, wer von den freiwilligen Guides die Tour nun durchführt – ich kann aber sagen, dass ich einen sehr kompetenten und erfahrenen Tour Guide hatte. Er hat uns das Drama um das grosse Erdbeben und anschliessende Feuer von 1906 erläutert. Es war sehr spannend zu erfahren, weshalb das Gebiet einerseits so anfällig für Erdbeben (Stichwort San Andreas-Verwerfung) ist und warum die Katastrophe, welche rund 80% der Stadt zerstörte, so ihren Lauf nahm. Nun weiss ich zum Beispiel, warum an jeder Kreuzung die Strassennamen ins Trottoir graviert werden.
Durch die zahlreichen Hügel, auf welchen San Francisco gebaut ist, bieten sich von verschiedenen Orten fantastische Ausblicke auf die Stadt und die Bucht. Sei es vom Coit Tower auf dem Telegraph Hill, dem Buena Vista oder dem Alamo Park (hier mit den hübschen «Painted Ladies» im Vordergrund) in Haight-Ashbury, dem Dolores Park oder den Twin Peaks. Eine weitere Möglichkeit für tolle Aussichten auf die Stadt – und natürlich die davor in der Bucht liegenden Gefängnisinsel Alcatraz – ist ein Ausflug auf die Golden Gate Bridge. Entweder per Fahrrad (es gibt diverse Vermieter und geführte Touren) oder zu Fuss. Einmal komplett über die knapp 3 km lange Brücke zu fahren/gehen ist ein unbeschreibliches Gefühl. Und zur Belohnung wartet ennet der Brücke das malerische Küstenstädtchen Sausalito – bekannt für eine mediterrane Atmosphäre, Hausboote und einer lebendigen Kunstszene. Die charmanten Cafés, Geschäfte und Galerien laden zu einem Besuch ein, bevor es via Fähre zurück in die Grossstadt geht. Am Fisherman’s Wharf, wo die meisten Fähren und Ausflugsboote anlegen, schlägt das Herz jedes Touristen höher. Zahlreiche Attraktionen, Erlebnisse und Ausflüge starten hier – und am Pier 39 fläzen auch noch die Seelöwen, ein lustiges Schauspiel für Gross und Klein! Dank meinem CityPass, welchen ich von San Francisco Travel gesponsert erhielt, genoss ich dann eine Rundfahrt mit dem Boot und durfte die Golden Gate Bridge nochmal aus einem anderen Winkel beobachten. An der gespenstischen Insel von Alcatraz – welche seinen Namen übrigens vom spanischen «Alcatraces», also «Pelikan», herhat – sind wir ebenfalls vorbeigeschippert. Wer die Insel ausgiebiger erkunden möchte, sollte zwingend eine Tour im Voraus buchen, denn der Zutritt ist beschränkt und die Attraktion sehr beliebt. Der CityPass bietet zudem Eintritte zu einigen tollen Museen wie dem Museum of Modern Art (SFMOMA), der Academy of Sciences oder dem Exploratorium.
Daneben hat San Francisco unzählige spannende Viertel zu bieten. Vom lebhaften und farbigen Chinatown und dem angrenzenden North Beach (Little Italy) über den mexikanisch geprägten Mission District (hier soll’s die besten Tacos der Stadt geben!) bis hin zum Castro District, einem der bekanntesten LGBTQ+-Viertel der Welt. Einst Zentrum der queeren Bürgerrechtsbewegung ist das Viertel heute bunt, lebendig und stolz und bietet eine offene und tolerante Atmosphäre. Wer es lieber etwas entspannter angeht, findet zum Beispiel im Marina District Möglichkeiten für Spaziergänge, Velotouren und Postkartenblicke auf die Golden Gate Bridge. Am weitläufigen Ocean Beach im Westen lassen sich die Wellen des Pazifiks und die mutigen Surfer ungestört beobachten. Leider war das Wetter in San Francisco kühler als zu Beginn in Chicago, somit konnte ich die Badesaison doch noch nicht eröffnen – bis zu den Knien hat’s allerdings gereicht. :-)